Im Winter 2005 saß ich in der Berliner Journalistenschule und hatte einen Traum: Ich wollte ein Buch veröffentlichen. Meine Cousine erzählte mir, dass sie bei Kurzgeschichtenwettbewerben schon mehrere tolle Preise gewonnen hatte – unter anderem eine Veröffentlichung in einer Anthologie. Ich beschloss, das mit den Kurzgeschichten auch mal zu versuchen.
Auf dem Heimweg vom Alexanderplatz kaufte ich eine Zeitschrift, die ich vorher noch nie gesehen hatte: „IQ Style“ Darin war dann tatsächlich ein Kurzgeschichtenwettbewerb ausgeschrieben, die Geschichte sollte nur eine Seite lang sein, in einem Citroen DS, genannt „Die Göttin“ spielen und ein Mann und eine Frau sollten involviert sein.
Am Abend, kurz vor dem Einschlafen, hatte ich einen „Flash“, ein Bild vor Augen, wie die Szene aussehen könnte. Ich sprang aus dem Bett und schrieb es sofort auf – aber die Idee war nur zwei Absätze lang. In der Nacht konnte ich kaum schlafen, so sehr FÜHLTE ich, welche Atmosphäre in der Szenenbeschreibung stehen sollte. Ich überlegte, welche Musik die beiden hörten, wie das Auto roch, wie die Frau geschminkt war, was der Mann am liebsten trank.
Außerdem beschloss ich, die Szene aus der Perspektive des Mannes zu schreiben und meinen Vornamen nicht anzugeben – ich hatte das Gefühl, dass ein Mann eher so einen Wettbewerb gewinnen würde, in dem es um Autos, Zigaretten und Frauen ging.
Am kommenden Morgen bat ich meine Mit-Volontärinnen Frauke und Hanne, mir Feedback zu der Geschichte zu geben – das arbeitete ich ein und dann nahte auch schon der Einsendeschluss.
Monatelang hörte ich nichts von der Redaktion. Dann, am 2. Januar 2006, wurde ich vom Anruf eines eher schlecht gelaunten Redakteurs geweckt – er habe ja eine andere Geschichte besser gefunden, aber ich habe gewonnen. Ich solle jemanden von Gauloises anrufen, um das Auto abzuholen.
Ich war völlig perplex. Am Nachmittag stieß ich mit zwei Freundinnen an, konnte es aber noch nicht so ganz glauben. In den kommenden Wochen war ich sehr beschäftigt damit, herauszufinden, was das Auto wert war. Außerdem musste ich es versichern und von Hamburg nach Berlin überführen, dort musste der Oldtimer in einer Garage stehen, um als Oldie versichert werden zu können, etc. Ganz schön stressig und auch mit einigen Auslagen verbunden.
Das Auto war wunderbar, älter als ich und im Unterhalt extrem teuer. Ich fuhr es ein paar Monate und ließ es dann von einem Oldtimer-Händler verkaufen. Eines kann ich euch sagen: So einen guten Seitenpreis werde ich wohl nie wieder erschreiben 🙂
Wenn ich heute einen Citroen DS sehe, bin ich mir sicher, dass er mir Glück bringt – beispielsweise um endlich einen Vertrag für eine Buchveröffentlichung zu bekommen.
Ihr fragt euch, was in der Kurzgeschichte stand? Nun, es war so…
Meine blaue Prinzessin
Wieder eine harte Nacht. Viel geraucht, viel getrunken, viel genossen. Der Rotwein-Kater wird mich morgen daran erinnern. Dumpf und schmerzhaft, genau hinter der Stirnhöhle. Trotzdem lasse ich nicht von meinen Lastern ab – ich pflege sie. Weil ich sonst nichts habe, was ich pflegen könnte. Außer meinem Auto natürlich, mein stolzer, schöner, cooler, blauer, alter 1970er Citroën Déesse. Am Ku`damm steht sie im Halteverbot. Die „Göttin“, wie Liebhaber wie ich sie nennen. Ich ziehe den Strafzettel vorsichtig unter dem Scheibenwischer hervor, öffne die schwere Fahrertür und lasse mich auf den Sitz fallen. Im Radio läuft ein alter Soulsong. trällern: „Cause it get´s stronger as the river flows. It get´s deeper baby, heaven knows. It get´s higher, so much high, as it goes. Do I love you? My oh my … River deep, mountain high.“ Ich starte den Motor. Los, nach Hause. In den Osten.
An der Karl-Marx-Allee steige ich auf die Bremse und komme mit quietschenden Reifen zum Stehen. Eine Frau ist einfach auf die Straße gelaufen. Ich muss eine Vollbremsung machen, um sie nicht zu überfahren. Von 70 km/h zum Stillstand – in wenigen Sekunden, die wie Quecksilber an meiner Seele herunterlaufen. ‚Bitte lieber Gott, mach mich nicht zu einem Mörder!` Die wenigen Sekunden, bis der Wagen steht, scheinen stundenlang zu werden. Gott sei Dank griffen die Bremsen meines Autos. Die „Göttin“ kommt kurz vor zierlichen Knien zum Stehen.
Die Frau schreit nicht. Sie versenkt ihren Blick hinter mein Steuer, reißt die Beifahrertür auf und steigt rasch ein. „Fahr los! Sonst kriegen sie mich“. Sie spricht schnell, aber leise. Wie ein gejagtes Tier kauert sie auf dem Beifahrersitz. Ich gebe mit rauchenden Reifen Gas. Ihre Schultern strafften sich, als eine Hand auf die flachen runden Heckbleche meines blauen Wagens klatscht. Eine wütende Männerstimme brüllt uns nach, aber ich verstehe kein Wort.
Meine Beifahrerin spricht nicht, erklärt nichts. Unter dem nachtblauen Seiden-Tschador schaut keine einzelne Haarsträhne hervor. Kleine Rosen aus Spitze verdecken den Haaransatz. Darüber liegt das Kopftuch. Ihre braunen Augen unter den langen Wimpern huschen an den Lichtern der Straßenlaternen entlang. Ihre Augen sind dunkelbraun geschminkt. Eigentlich: gerahmt. Es ist Nacht. Ich fahre, ich rase. Die Ampel schaltet auf Gelb. Bei Rot sind wir auf dem gegenüberliegenden Zebrastreifen der großen Kreuzung. Ich sehe das grüne Berliner Ampelmännchen mit dem förmlichen Hut. Gott sei Dank sind keine Fußgänger unterwegs. Außer ihr, die jetzt neben mir sitzt. Ihre Haut sieht aus wie Milch. Dünn und doch undurchsichtig. Blass. Sie sieht aus wie eine orientalische Prinzessin.
Jetzt sind wir entkommen. WIR. UNS gibt es schon, auch wenn SIE noch so unwirklich ist. Warum lasse ich eine Wildfremde in meinen Wagen einsteigen? ‚Weil ich sie retten musste‘, überlege ich. ‚Weil sie vielleicht DIE EINE ist‘, fühle ich. Diana Ross jubelt durch die Lautsprecher: „River deep! Mountain high!“
Wir rasen durch Berlin-Mitte. Rechts und links Plattenbauten. Der Alex ragt steil in den Himmel. Meine blaue Prinzessin greift zu der Schachtel Gauloises, die zwischen uns auf dem Lederpolster liegt. Mit langen Fingern zieht sie eine Filterzigarette aus der Pappschachtel und zündet sie an. An ihrer linken Hand glitzert ein weißer Diamant.
Auf ihrer Stirn steht Rastlosigkeit, aber in ihren Augen liegt die Sicherheit, sich entschieden zu haben. Sie atmet tief ein und legt den Kopf zurück. Ihr Hals ist gebogen. Als sie ausatmet, bläst sie den Rauch gegen das cremefarbene Leder der Sonnenblende.
„Jetzt bin ich frei“, sagt sie. Ich lächle.
Interessant, dass der Oldtimer in einer Garage stehen muss, um als Oldie versichert werden zu können. Ich habe mich beim Autohändler in einen alten Chevy verliebt. Ich dachte allerdings nicht, dass man für solche Autos so viel Papierkram erledigen muss.